Geld ist Energie.“ – „Dein Kontostand zeigt, wie sehr du dir selbst vertraust.“ – „Fülle beginnt in dir.“ Sätze wie diese begegnen einem auf Social Media häufig, wenn man sich in der Welt der modernen Spiritualität bewegt. Vor allem im Coaching- und Influencer-Bereich gehören sie inzwischen zum festen Vokabular und tauchen gemeinsam mit entsprechenden Angeboten auf: Money-Mindset-Kurse, Fülle-Trainings oder Empfehlungen zu Krypto-Investments. Alles steht dabei unter dem Eindruck, dass Geld ein Bestandteil von Spiritualität sei.
Aber stimmt das? Gehört Geld wirklich zu einem spirituellen Weg? Oder wird hier möglicherweise etwas miteinander vermischt, das gar nicht zusammengehört? In diesem Artikel möchte ich dir einen Einblick vermitteln, was echte Spiritualität wirklich mit Geld zu tun hat – und was nicht.
1. Heilung, Fülle, Investieren – Was steckt dahinter?
Vor allem Frauen, die heute nach Orientierung, Heilung oder persönlichem Wachstum suchen, landen früher oder später bei Coaches, die Spiritualität, Esoterik und Business miteinander verbinden. Sie sprechen von Empowerment, innerem Erwachen und davon, wie man das Leben seiner Träume leben kann. Und da klingt es wie eine logische Konsequenz, dass man für dieses wunderbare Leben auch Geld braucht.
Das Modell dahinter ist immer ähnlich: Es wird ein Mangel angesprochen, betont empathisch und fast immer verbunden mit einem persönlichen (Kindheits-) Erlebnis der Coachin oder des Coaches. Dann wird suggeriert, dass sich dieser Mangel auflösen lässt, wenn man energetisch in die Fülle geht. Und genau dafür gibt es ein Angebot, das sich als Investition in dich selbst tarnt. Häufig sogar mit dem Zusatz: „Wenn du dich jetzt noch fragst, ob du dir das leisten kannst, bist du noch im Mangeldenken.“
Was hier passiert, ist nicht neu und folgt einem altbekannten Marketing-Prinzip: Ein Mangel wird thematisiert, ein Bedürfnis erzeugt und im Anschluss eine Lösung versprochen. Neu ist hier nur die Verpackung. In der Sprache spiritueller Coaches wirkt das nicht wie Verkauf, sondern wie eine sanfte Einladung, dich in deine höchste Version weiterzuentwickeln, in der Geldfluss ein natürlicher Bestandteil sein soll.
Wer ständig nach mehr strebt, entfernt sich vom Weg. Besitz kann nützlich sein, aber er darf nie zum Ziel werden.
– Taisen Deshimaru (Zen-Meister)
2. Warum spirituelle Coaches Geld und Glauben verbinden
Echte Spiritualität funktioniert anders als das, was auf Social Media gezeigt wird. Sie ist still, unspektakulär und hat nichts mit Lifestyle, perfekten Wohnungen, schönen Kleidern oder der ständigen Präsentation von Erkenntnissen zu tun. Sie braucht keine Bühne und keine Marke. Sie geschieht im Alltag, im Rückzug, in Momenten der Ehrlichkeit mit sich selbst, oft in Verbindung mit der Natur, dem eigenen Körper, dem einfachen Leben. Sie verspricht nichts und verkauft nichts. Und genau deshalb sieht man sie dort kaum.
Damit sich Spiritualität überhaupt vermarkten lässt, wurde etwas Neues daraus gemacht. Eine moderne, anschlussfähige Version, die bewusst verschiedene Bereiche miteinander vermischt: Yoga, Esoterik, Persönlichkeitsentwicklung, Mental Health, Money Mindset, Selbstliebe, Selbstoptimierung und so weiter. Damit entstand ein Format, das sich als Lifestyle gut darstellen und noch besser verkaufen lässt.
Für viele Coaches und Influencer:innen ist das die Grundlage ihres Geschäftsmodells. Wer es schafft, emotionale Nähe aufzubauen, kann das Vertrauen in Produkte übersetzen. Die Sprache ist immer weich, unterstützend, freundschaftlich, und der Einstieg vermeintlich harmlos: geführte, kostenlose Meditationen, persönliche Gedanken, vielleicht ein Workbook. Und dann wird man nach und nach in die Produktwelt eingeführt: Online-Kurse, Bücher, Retreats, spirituell verpackte Coaching-Programme.
Nach außen sieht das oft nach persönlicher Begleitung aus. In Wirklichkeit ist es jedoch ein durchdachtes Verkaufssystem. Und je größer der Umsatz, desto wichtiger wird es, diesen auch spirituell zu rechtfertigen. Der eigene Wohlstand wird dann nicht als Folge von gezieltem Marketing dargestellt, sondern als Beweis für die Wirksamkeit der Methode oder gar als spiritueller Erfolg à la „Ich habe es geschafft, dann kannst du das auch.“
3. Was du über das spirituelle Money-Mindset wissen solltest
Viele Kurse, die mit Spiritualität und Geld arbeiten, versprechen etwas sehr Einfaches: „Wenn du deine innere Haltung veränderst, kommt das Geld von allein.“ oder „Du musst nur an dich glauben, ins Vertrauen gehen und deine Fülle aktivieren.“ Klingt gut, aber was dabei oft fehlt, ist der Blick auf die Realität.
- Finanzwissen wird durch Wunschdenken ersetzt: Statt dir wirklich zu zeigen, wie man mit Geld umgeht, wie man spart, plant oder investiert, geht es in solchen Kursen um Energien, Glaubenssätze und das Universum (vgl. Gesetz der Anziehung). Es wird so getan, als ließe sich finanzielle Sicherheit einfach manifestieren, und zwar ganz ohne Wissen, ohne Überblick, ohne wirklich aktiv etwas zu tun. Das ist zweifellos eine angenehme Vorstellung, aber völlig fern jeglicher Realität.
- Therapeutische Inhalte ohne entsprechende Ausbildung: Viele dieser Coaches sprechen davon, dass du deine Geldwunden heilen sollst. Sie reden über Ängste, Prägungen oder sogar Traumata. Aber die wenigsten haben eine fundierte Ausbildung in Psychologie oder Therapie. Sie greifen in sehr persönliche Themen ein, ohne wirklich dafür qualifiziert zu sein. Also sei vorsichtig, wem du erlaubst, auf dein inneres Kind Einfluss zu nehmen.
- Systemische Probleme werden ausgeblendet: Es wird kaum darüber gesprochen, dass der Umgang mit Geld häufig etwas mit Herkunft, Bildung oder persönlichen Lebensumständen zu tun hat. Stattdessen heißt es: Wenn du es nicht schaffst, liegt es an dir. Du hast noch Blockaden. Du denkst zu klein. Du musst mehr in dich investieren. Das setzt unter Druck und verschiebt die Verantwortung komplett auf dich… und das ist nicht nur manipulativ, sondern auch schlichtweg falsch.
So entsteht ein Bild, das mit echter Unterstützung wenig zu tun hat. Es hält dich in einer Schleife, in der du immer weiter an dir arbeiten sollst, ohne am Ende wirklich voranzukommen. Und genau das ist der Vorteil für viele Anbieter:innen: Solange du nicht in deine eigene Kraft kommst, bleibst du Kund:in. Denn wer beginnen würde, sich finanziell wirklich etwas aufzubauen, bräuchte keine spirituell aufgeladenen Versprechen mehr.
Spiritualität bedeutet, mit sich und der Welt in Beziehung zu treten, achtsam, verbunden, ehrlich. Sie braucht keine Bühne, keine Produkte, kein Business. In der Regel beginnt sie genau dort, wo wir uns von solchen Erwartungen lösen.
Fazit: Was echte Spiritualität mit Geld zu tun hat
Echte Spiritualität braucht keine Beweise im Außen. Sie beginnt dort, wo Fragen auftauchen, die sich nicht sofort beantworten lassen. Sie stellt nicht das Einkommen in den Mittelpunkt, sondern die innere Haltung zum Leben. Und sie funktioniert nicht als System zur Selbstoptimierung, sondern wächst leise, oft im Verborgenen.
Natürlich kann Geld eine Rolle spielen. Unser Umgang damit hat viel mit Herkunft, Prägung und Erfahrung zu tun. Aber: Geld ist kein Maßstab für spirituelle Reife. Wer viel verdient, ist nicht automatisch besonders bewusst. Und wer wenig hat, lebt nicht automatisch im Mangel. Gerade hoher Konsum widerspricht oft genau dem, was viele mit Achtsamkeit oder Klarheit verbinden.
Auch wenn es schwerfällt, sich das zu vergegenwärtigen: Viele Coaches verdienen ihr Geld damit, Hoffnung zu verkaufen. Mit Werbeanzeigen, Funnels, automatisierten Mails, Social-Media-Clips, Testimonials, Freebies, Webinaren und der gezielten Ansprache psychologischer Trigger. Dabei überschreiten einige von ihnen Grenzen, die ihnen nicht zustehen. Sie greifen in psychologische Prozesse ein, obwohl ihnen dafür die nötige psychologische Ausbildung fehlt.
Und Geld? Geld fällt leider nicht vom Himmel. Da sitzt auch niemand im Universum, der es auf uns herabwirft. Wohlstand entsteht nicht durch Manifestation und nicht durch die Heilung des inneren Kindes, sondern durch Wissen, Arbeit, Entscheidungen und ein gewisses Maß an Ausdauer. Das klingt nicht besonders attraktiv, aber es ist wenigstens ehrlich.