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Healing-TrendsModerne Spiritualität

Dürfen dir spirituelle Coaches „Heilung“ anbieten?

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Spirituelle "Heilung" auf Social Media Kritik
Foto © pixelshot

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Wenn du dich für Achtsamkeit, mentale Gesundheit oder Spiritualität interessierst, kommst du auf Social Media an einem Wort kaum vorbei: „Heilung“. Kaum öffnest du Instagram oder TikTok, taucht es überall auf. Es geht um innere Wunden, alte Muster, Geldthemen, das innere Kind, Selbstregulation, emotionale Blockaden. Heilung scheint plötzlich alles zu können und überall zu sein, oft verbunden mit Produkten oder Kursen, die diesen Zustand versprechen.

Der Begriff, den wir vor allem aus Medizin und Psychotherapie kennen, ist für viele Coaches und Influencer:innen zu einem Sammelbegriff geworden für alles, was nach Entwicklung, Befreiung oder innerer Ordnung klingt. Und das von Menschen, die weder ausgebildet sind, um mit psychischer Gesundheit zu arbeiten, noch Verantwortung für das übernehmen, was ihre Inhalte in anderen auslösen.

In diesem Artikel geht es darum, wie „Heilung“, „Selbstheilung“ und „Healing“ im spirituellen Online-Markt verwendet wird, was dabei oft übersehen wird und weshalb das nicht harmlos ist.

1. Gehört „Heilung“ überhaupt zur Spiritualität?

Nein, zumindest nicht im medizinischen oder therapeutischen Sinn. Spiritualität richtet sich nicht darauf, Krankheiten zu behandeln oder psychische Störungen zu lösen. Sie beschäftigt sich mit Fragen, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt: Wie lebe ich mit Verlust, Angst, Schuld oder Chaos? Wie halte ich Unsicherheit aus, die sich nicht „wegmachen“ lässt?

Spiritualität arbeitet auch nicht mit Diagnosen. Sie fragt nicht „Was ist falsch mit dir?“, sondern eher „Wie kannst du mit dem leben, was nicht zu ändern ist?“. Es geht um Orientierung, nicht um Behandlung. Um Halt, nicht um Therapie. Wenn Spiritualität mit „Heilung“ wirbt, entfernt sie sich von dem, was sie eigentlich leisten kann. Dann geht es weniger um den Umgang mit dem Unlösbaren und mehr um Lösungen, die sich gut verkaufen lassen.

Räucher-Ritual in der Esoterik wird oft mit Heilung verknüpft - Kritische Einordnung
Räucherrituale werden in der Esoterik häufig als „heilend“ dargestellt. Wissenschaftlich belegt ist diese Wirkung nicht. (Foto: nina_gili)

2. Warum mit „Heilung“ so offensiv geworben wird

Für Influencer:innen und Coaches, die regelmäßig Inhalte produzieren, geht es um Sichtbarkeit, Vertrauen und zahlende Kund:innen. In der kommerziellen Spiritualität wirkt vieles nach außen wie fürsorgliche Begleitung, im Hintergrund geht es jedoch vor allem ums Verkaufen: Programme, Kurse, Coachings, Produkte. Die Wortwahl ist dabei kein Zufall. „Heilung“ wirkt sofort. Der Begriff klingt nach Tiefe und Kompetenz und verleiht Anbieter:innen eine Bedeutung, die in den meisten Fällen nicht auf medizinischer oder therapeutischer Ausbildung oder Qualifikation beruht.

Gleichzeitig verändert das Wort die Beziehung zwischen Coach:in und Publikum. Wer „Heilung“ anbietet, stellt sich automatisch über Menschen, die sich in einer verletzlichen oder suchenden Phase befinden. Dadurch entsteht ein Gefälle, das Vertrauen in Abhängigkeit verwandeln kann. Und weil „Heilung“ in diesem Umfeld nicht überprüfbar ist, kann damit viel Geld verdient werden, ohne dass klar wird, was diese Angebote tatsächlich bewirken.

Wenn jemand auf Social Media Heilung in Aussicht stellt, Genesung suggeriert, Krankheit spirituell „bearbeitet“ oder Heilprozesse verkauft, handelt es sich um Heilwerbung – unabhängig vom verwendeten Begriff. Das kann rechtlich unzulässig sein, sobald ein therapeutischer Eindruck entsteht.

3. Wer darf eigentlich über „Heilung“ sprechen?

„Heilung“ ist ein freies Wort, aber sobald jemand damit den Eindruck erweckt, Krankheiten, psychische Probleme oder innere Konflikte wie eine Behandlung beeinflussen zu können, gilt das als Heilkunde. Und die darf nur von Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen oder Heilpraktiker:innen ausgeübt oder beworben werden. Reguliert ist also nicht der Begriff selbst, sondern die Handlung dahinter.

Auf Social Media verschwimmt diese Grenze vollständig: Influencer:innen, Coaches oder spirituelle Anbieter:innen verwenden „Heilung“, ohne die entsprechende Qualifikation oder Kenntnis der rechtlichen Vorgaben zu haben. Persönliche Erfahrungen sind erlaubt, sobald jedoch der Eindruck entsteht, Krankheiten, psychische Leiden oder innere Konflikte „heilen“ zu können, wird es rechtlich problematisch. Dass diese Grenze online kaum kontrolliert wird, ändert nichts daran, dass sie existiert und dass Verstöße mit Bußgeldern bis zu 50.000 Euro geahndet werden können.

4. Was der Begriff „Heilung“ bei Menschen auslöst

Das Wort zieht Menschen so stark an, weil es nach einer Lösung klingt, die Klarheit oder Erleichterung verspricht. Es trifft besonders diejenigen, die erschöpft sind vom Suchen und vom Kreisen um die immer gleichen inneren Themen. „Heilung“ klingt nach einem Zustand, in dem endlich Ruhe einkehrt oder nach einem Moment, in dem etwas Ordnung bekommt.

Je häufiger jemand auf Social Media von „Heilung“ spricht, desto vertrauenswürdiger wirkt diese Person. Wiederholung schafft Nähe und Nähe wird oft mit Glaubwürdigkeit verwechselt. Das kann dazu führen, dass Menschen statt ärztlicher oder psychotherapeutischer Unterstützung die kostenpflichtigen Kurse, Programme oder Retreats bei dieser Anbieter:in buchen – in diesem Fall bei einer Person ohne medizinische oder therapeutische Qualifikation.

Kritischer Artikel zum Thema Heilung - Spiritualität, Esoterik, Meditation
Meditation wird häufig als „heilend“ dargestellt, kann aber auch Ängste verstärken oder belastende Themen auslösen. (Foto: Vlada Karpovich / baseimage)

5. Warum spirituelle „Heilung“ nicht harmlos ist

Wenn „Heilung“ auf Social Media, in Podcasts und Büchern zum zentralen Begriff von Spiritualität wird, verschiebt sich etwas Grundlegendes. Strukturelle Probleme, Krankheit, psychische Belastungen oder Lebenskrisen erscheinen plötzlich als etwas, das Einzelne in sich lösen müssten, mit der richtigen Methode, dem passenden Online-Kurs oder einem Retreat. Was eigentlich medizinischer, therapeutischer oder sozialer Unterstützung bedarf, wird damit zur privaten Aufgabe erklärt. Leid wird individualisiert, während gesellschaftliche, strukturelle und persönliche Ursachen aus dem Blick geraten.

Gleichzeitig entsteht Druck. Es werden immer neue Themen benannt, die angeblich heilungsbedürftig seien, und parallel immer neue Angebote präsentiert, die Abhilfe suggerieren. Wer sich in diesem Umfeld bewegt, wird nicht heil, sondern gerät leicht in das Gefühl, noch nicht genug getan, nicht richtig gearbeitet oder nicht die passende Methode gefunden zu haben. Entlastung entsteht dadurch selten, häufig eher zusätzlicher Druck. Das hat weder etwas mit Heilung im medizinischen Sinn noch mit echter Spiritualität zu tun.

Fazit: Spirituelle „Heilung“ in der Grauzone

Der Begriff „Heilung“ wird in der kommerziellen Spiritualität so breit verwendet, dass kaum noch erkennbar ist, was erlaubt ist, was grenzwertig und was klar unzulässig wäre. Echte Spiritualität steht nicht in der Verantwortung, Heilung zu liefern oder Ergebnisse zu garantieren. Problematisch wird es dort, wo „Heilung“ genutzt wird, um Nähe, Vertrauen und Autorität aufzubauen und daraus Angebote zu entwickeln.

Warum machen es dann so viele?

Weil das Spektrum der kommerziellen Spiritualität und Esoterik auf Social Media weitgehend unreguliert ist. Es gibt kaum Stellen, die prüfen, wer „Heilung“ in welchem Kontext verwendet und welche Auswirkungen das haben kann. Dass moderne, kommerzielle Spiritualität häufig mehr Druck erzeugt, als sie löst, wird selten thematisiert. Und das, obwohl es dabei um einen der sensibelsten Bereiche des Menschen geht: die körperliche und seelische Gesundheit.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Spirituelle ebenso wie esoterische Influencerinnen dürfen und können nicht heilen. Dass viele ihrer Angebote rechtlich in Grauzonen liegen, ändert daran nichts.

◉ Wir möchten mit diesem Magazin dazu beitragen, dass diese Themen mehr Aufmerksamkeit bekommen. Wenn dir problematische Inhalte in Bezug auf spirituelle Heilung auffallen, kannst du uns gern einen Screenshot oder Link über das Kontaktformular schicken. Wir sammeln Beispiele, um Muster sichtbar zu machen und andere dabei zu unterstützen, genauer hinzuschauen.

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Geschrieben von
Ute Kranz

Als Gründerin von Happy Not Happy und studierte Kommunikationswirtin mit langjähriger Erfahrung in Medien und Marketing interessiert mich, wie Selbstverwirklichung, Sinnsuche und Social Media zusammenhängen – und wie wir herausfinden, was wirklich zu uns passt.

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